Herr Hoffmann steht hinter seiner Theke. „Die Theke ist auch antifaschistischer Schutzwall“, denkt er gerade und hört Günter, soweit es geht, zu. Günter: Ende fünfzig, Anfang sechzig, starker Raucher, Zigarillos, nicht dumm, aber politisch sehr weit rechtsaußen.

„Herr Hoffmann, weißt du eigentlich, was ich damals gemacht habe? So beruflich in deinem Alter oder noch früher?“ Günter lacht auf. Er gehört schon zu der Gattung Mensch, die am Meisten über ihre eigenen Witze lachen können. Dann schaut aber sofort wieder ernst, sehr ernst zu Herrn Hoffmann über die Theke. „Wie ist eigentlich die männliche Form von Politesse“, überlegt Herr Hoffmann. Er kommt nicht drauf. „Ich weiß es nicht, Günter“, sagt er.

Noch einen kurzen Moment lässt Günter die selbstaufgebaute Spannung steigen. Vielleicht doch noch eine Werbepause? Nein.

„Taxifahrer“, sagt Günter.

„Es ist raus. Taxifahrer“, denkt Herr Hoffmann. „Lustig“, sagt der Büdchen Betreiber nach einer Weile. „Taxifahrer also.“ Was anderes fällt ihm auf Günter tolles Beruferaten nicht ein.

„Abgeschlossenes Politikstudium, danach Taxischein, zwanzig Jahre Nachtschicht, zwanzig Jahre Single, lieber Herr Hoffmann.“

Herr Hoffmann nickt. Taxifahrer also. Immer alleine, irgendwann an der falschen Stelle abgebogen. Heute ist Günter für das Viertel nur noch der rechte Giftzwerg.

Herr Hoffmann weiß genau, wie sich „allein sein“ anfühlt und an was für schräge Orte einen die Fantasie tragen kann.

„Ich weiß wohl, dass mich alle für einen rechten Giftzwerg halten. Hier, dein Stammkunde, dieser Student, Lukas, der hat mich doch letztens sogar bei dir im Büdchen als Nazi bezeichnet.“

Herr Hoffmann starrt auf Günter, ohne dazu etwas zu sagen. Er erinnert sich noch genau an das Gespräch, den Streit. Schön war das nicht. Herr Hoffmann fragt sich allerdings, warum Günter ihm das alles erzählt. Gefragt hat er nicht danach.

„Und weißt du was, Herr Hoffmann?“ Günter kommt einen Schritt näher zur Theke. Herr Hoffmann weiß nicht.

„Was?“, fragt der „Herr des Kiosk“, dreht sich dabei zur Wanduhr um, die hinter ihm neben dem Zigarettenregal hängt. Ein Becks Gold Vertreter hat sie ihm geschenkt. Herr Hoffmann wollte sie immer mal wieder austauschen, aber sie läuft noch. Herr Hoffmann mag keine Verschwendung. Das Werbegeschenkt jedenfalls zeigt, dass bald gegenüber an der Schule Große Pause ist. Dann stürmen die Schüler und Schülerinnen wieder in seinen Kiosk und die Zeit zum Plauschen ist vorbei.

„Zu Recht, lieber Herr Hoffmann. Zu Recht.“ Günter lehnt sich über die Theke. Herr Hoffmann muss einen Moment überlegen, was Günter meint. Er geht einen Schritt zurück und prallt leicht gegen das Zigarettenregal.

„Herr Hoffmann, wir müssen wieder lernen, die eigenen Hütte sauber zu halten. Das geht nicht, wenn hier jeder reinkommt und macht, was er will. Ich weiß, dass darf man nicht mehr sagen, aber…“

Jetzt weiß Herr Hoffmann wieder, worum es geht.

„…aber wir brauchen Strukturen, Ordnung, eine starke Hand, Persönlichkeiten, die wissen, wie man der Jugend wieder Tugenden und Ideale mitgibt. Lieber Herr Hoffmann, Friede, hörst du, Friede ist nur der Zustand zwischen zwei Kriegen“, sagt Günter, am Ende seines Vortrags angekommen. Günter schaut Herrn Hoffmann durchdringend, auch neugierig an, als ob er auf seine Sätze eine Antwort haben will. „Eine Bestätigung vielleicht noch“, denkt Herr Hoffmann.

Doch dazu kommt es glücklicherweise nicht mehr. Das Türglöckchen des Kiosk läutet und eine Scharr junger Schülerinnen und Schüler überfällt seinen Laden.

„Maske auf. Nur zwei Kunden gleichzeitig. Wenn du das Heft lesen willst, musst du es kaufen,“ schreit der Büdchen Betreiber zwischen den Heranwachsenden. Günter lächelt. Er grüßt noch einmal über die Theke und verabschiedet sich.

Ein paar Minuten später steht auch Herr Hoffmann wieder alleine in seinem Büdchen. Hätte er Günter seine Meinung sagen sollen? War es richtig, einfach die Klappe zu halten? Wohl kaum. Aber, das muss sich Herr Hofmann eingestehen, er mag Günter. Kein Freund, aber ein Stammkunde, den er gerne im Büdchen hat.

„Der nette Nazi“, lächelt Herr Hoffmann und ahnt, dass das eigentlich gar nicht möglich ist.