Herr Hoffmann steht hinter seiner Theke. Es ist Samstagsabend und vor der Hoffmannschen Auslage, den Schokoriegeln, Kaugummis, kleinen Chipstüten, Ü-Einern und und und … steht Lukas. Er war am Nachmittag im Station und erzählt begeistert vom Preußen Spiel.

„Lukas, mich interessiert Fußball nicht“, sagt Herr Hoffmann ehrlich. Er muss noch die Steuer machen und hatte gehofft, wenigstens am Abend anfangen zu können.

„Sollte dich aber interessieren“, fordert Stammkunde Lukas.

„Wieso?“, fragt der Büdchen-Betreiber. Vielleicht die falsche Frage, denkt Herr Hoffmann, womit er Recht behalten wird, Lukas beginnt die ganz große Erzählung auszupacken.

„Ach Herr Hoffmann“, startet er harmlos. „Nachmittags mit einem Bierchen und einer Bratwurst in der Kurve stehen, war, ist und wird immer etwas besonderes sein.“ Lukas zeigt mit dem Kopf seiner Bierflasche auf Herrn Hoffmann. „Was meinst du, wieviele Väter ihre kleinen Stupse mitbringen?“ Herr Hoffmann zuckt mit den Schultern, er war seit Jahren nicht beim Fußball.

„Mit leuchtenden Augen feuern die Kleinen mit Papa ihre Mannschaft an. Da möchte man auch Kinder kriegen“, lacht Lukas.

„Lukas, komm auf den Punkt,“ drängelt Herr Hoffmann.

„Und wenn die andere Mannschaft, der Gegner, der Gegenspieler, die Anderen ein Tor schießen, foulen oder nur zu schnell für unsere Jungs laufen, wird im Block gejammert, geheult geschrieen und böseste Beschimpfungen zum Gegner gebrüllt. Da stirbt auch mal die Mutter, die sowieso ne Hure ist und der Spieler ein Bastard. Ein schwuler Hurenbastard. Und da schreit dann auch das Kind: Ey, du schwuler Hurenbastard. Und Papa ist stolz auf den kleinen Bub“ Lukas grinst.

„Lukas, mach hin.“

Herr Hoffmann sieht immer noch nicht, was ihn daran interessieren sollte.

Lukas trinkt noch einen Schluck, dann erzählt er weiter.

„Herr Hoffmann, hör doch zu. Teilweise ist das ein Fußballkrieg und du, der Fan, bist Teil dieses Spiels, nur ein kleiner Bauer, aber du gehörst dazu, trägst die gleichen Farben wie deine Jungs, feuerst sie an, singst sie Richtung Tor, liebst, leidest mit ihnen, weinst und brichst vielleicht sogar kläglich zusammen.“

Lukas bückt sich, fällt spielerisch in sich zusammen und schaut hoch zu Herrn Hoffmann, zeigt mit einer jammervollen Fratze wie man guckt, wenn das Spiel verloren scheint.

„In den 90 Minuten, da ist alles anders.“ Lukas macht eine Kunstpause.

„Und dann ist das Spiel vorbei und vielleicht jammert der ein oder andere noch bis zum Ausgang und meinetwegen auch noch bis zum Stammkneipe. Aber weißt du was, Herr Hoffmann?“

Herr Hoffmann schüttelt den Kopf. Also er weiß, dass er gerne noch ein wenig Steuer machen möchte, das weiß er.

„Danach legst du das ab. Das Spiel ist aus. Ich bin wieder Lukas und du bist wieder Herr Hoffmann und nicht irgendein Avatar, der eine Woche durch die Stadt läuft, sich ärgert, jammert, weint, die gegnerische Mannschaft verflucht und ihre Fans jagt, wenn er sie sieht. Hörst du: Das Spiel ist aus.“ Lukas schaut jetzt ernster. Er nimmt seinen Fan-Schal ab, faltet ihn langsam zusammen. Achtung Stimmungsaufbau, denkt Herr Hoffmann. Das wird nichts mit der Steuer, befürchtet er langsam.

„Aber für diese Spastis hört das Spiel nie auf. Die sind in jeder Sekunde Fan und sie schreien, jammern, weinen die ganze Woche weiter. Und zwischenzeitlich verhauen sich diese Hooligans gegenseitig, und wenn keine da sind, irgendeinen Unbeteiligten, der mit Fußball noch nicht mal, was am Hut hat.“

Jetzt regt Lukas sich richtig auf. Seine Stimme wird schneller und lauter und seine Ohren verfärben sich rosa.

„Und wenn dann wieder Weltmeisterschaften oder Europameisterschaften sind, kann sich der ganze Hass auf die anderen Länder übertragen und die Menschen dort. Dann darf man die ganze Welt verkloppen, weil das ja alles Gegner sind. Feinde. Diese Typen raffen es echt nicht. Sie merken nicht, dass das Spiel schon lange aus ist. Da funktioniert doch bei denen was nicht. Warum sagt den keiner mal…“ Lukas brüllt den letzten Satz raus: “Das Spiel ist aus, ihr Penner.“

Da läutet das Türglöckchen. Es ist Paket Paul (ein Stammkunde und eben der Paketbote. Herr Hoffmann hat eine DHL Paketstation im Kiosk. Lohnt nicht).

„Das Spiel ist aus? Alles in Ordnung“, fragt er, guckt neugierig auf Herrn Hoffmann und Lukas.

„Fußball“, sagt Herr Hoffmann.

„Nein, nicht Fußball, Herr Hoffmann. Alles. Wenn ich aus dem Station gehe, ist das Spiel aus. Und wenn so ein rechter Affe in der Fußgängerzone Ausländer jagt, weil Deutschland gerade gegen meinetwegen die Türkei verloren hat, dann rafft er nicht, dass das Spiel aus ist.“

Paket Paul mischt sich ein.

„Olé, olé, oje!“ Er grinst und geht an den beiden vorbei zu seinen Paketen.

„Das ist nicht witzig“, möffelt Lukas hinter ihm her.

„Oje“, sagt Paket Paul.

Er hantiert einen Augenblick zwischen seinen Paketen rum. Dann kommt er an die Theke und öffnet seinen DHL Windbreaker („Ein ganz hübsches Teilchen“, sagt Günter, ein anderer Stammkunde). Paket Paul steht im Trikot vor den beiden Anderen. Stolz dreht er sich um: „1 FC Gartenglück, meine Mannschaft. Nächste Woche geht’s gegen die Kleingärtnerinnen von Teutonia Münsterblick. Gemischte Mannschaft. Aber wenn ich die vorher sehe…“ Paket Paul droht spielerisch mit der Faust.

Herr Hofmann schmunzelt. Lukas ist noch unentschlossen, ob er es witzig findet.

Paket Paul haut Lukas freundschaftlich auf den Oberarm.

„Hast ja Recht“, sagt er. „Nur… Wahre Liebe hört nicht am Stadiontor auf.“

In Münster hat sich einmal ein Schwan in ein schwarzes Tretbott verliebt, unglücklich verliebt.

„Wahre Liebe ist manchmal sehr einseitig“, flüstert Herr Hoffmann leise. „Wohl war“, antworten seine beiden Stammkunden.