Herr Hoffmann steht hinter seiner Theke. In der FAZ liest er von einen Eiskunstlauf-Team aus den USA, das 1964 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückte. Schrecklich, denkt er und guckt aus seinem Schaufenster auf die Straße. Überall türmt sich der Schnee, Fußgänger rutschen langsam über die Wege, die Autos fahren nur in Schrittgeschwindigkeiten, Fahrradfahrer sind bei diesem Wetter sogar in Münster nicht zu sehen. Seit Jahren, schreiben die Zeitungen, hat es nicht mehr so geschneit.

Das Türglöckchen läutet. Herr Hoffmann guckt zur Tür, dann zu seiner Becks Gold Werbeuhr. Pünktlich bei jedem Wetter, denkt er.

„Guten Tag, Herr Hoffmann.“

„Hallo Günter.“

Günter kommt seit Herr Hoffmann den Laden hat. Er kauft einmal die Woche eine Kiste Cohiba Club Zigarillos, die ZEIT und das Schachmagazin. Günter ist Witwer. Er wohnt ein paar Häuser weiter in einer drei Zimmerwohnung, die eigentlich viel zu groß für ihn ist. Seine Frau und er haben sich damals zusammen die Wohnung gekauft. „Als wir noch jung waren“, sagt Günter und Herr Hoffmann vermutet nur, wann das gewesen sein muss. Günter ist der älteste Mensch, den Herr Hoffmann kennt.

Günter ist zufrieden, wie es ist. Jedenfalls sagt er das. „Bin zufrieden, wie es ist.“ Meistens erzählt Günter aber auch noch Menge anderes Zeugs. Über den Krieg, irgendeinen, gerne Naher Osten. Klimaschutz. Bürgermeister und die Nachbarn. Ländernachbarn und die Nachbarn. Die Gasrechnung und Gerhard Schröder. Autoverkehr, Tesla und Brandenburg. Und immer wieder die Nachbarn.

„Eine Kiste Cohiba Club Zigarillos, die ZEIT und das Schachmagazin bitte, lieber Herr Hoffmann“, sagt Günter in seinem typisch gestelzten Günter-Akzent. Herr Hoffmann kann es nicht genau sagen, aber er findet Günters Art großartig.

„Herr Hoffmann, ich durfte lesen, dass du in einen Kriminalfall verwickelt warst“, sagt Günter und legt einen Jute Beutel der Stadtbücherei auf Herrn Hoffmanns Theke (s.a. Hoffmanns Büdchen #1 – Die Geschichte beginnt). Er, Hoffmann packt Günter den Einkauf in den Beutel.

„Eine Kundin ist tot umgefallen“, erzählt Herr Hoffmann auf seine typisch verkürzte Weise. Herr Hoffmann ist kein großer Erzähler. „Habe die Polizei gerufen.“ Herr Hoffmann reicht Günter den Beutel und will sich wieder seiner Zeitung widmen, aber Günter ist noch nicht mit seinem Smalltalk fertig (Herr Hoffmann hat so etwas befürchtet). „Also wurde die Dame in deinem Kiosk Opfer einer Gewalttat? Herr Hoffmann, erzähl doch mal. Seit Jahren stehst du hier hinter ihrer Theke und endlich passiert mal was, und dann hast du nichts zu erzählen? Herr Hoffmann, ich bitte dich.“

Herr Hoffmann guckt beleidigt. Natürlich hat er sich damals ein paar mehr Gedanken gemacht. Wo kam die Frau her? Was wollte sie? Und Herr Hoffmann hat Dinge erfahren, die ein Kiosk Besitzer nicht erfahren sollte. Soviel ist mal klar. „Aber ich kann da nicht drüber reden“, sagt Herr Hoffmann zu Günter. „Kein Scheiß?“, fragt Günter. „Kein Scheiß“, sagt Herr Hoffmann. Beeindruckt verlässt Günter den Laden. An der Tür bleibt der greise Kunde noch einmal stehen, dreht sich um. „Herr Hoffmann, du verkaufst dich unter wert.“ Herr Hoffmann nickt. Er weiß.