Herr Hoffmann steht hinter seiner Theke. Draußen regnet es. Es ist früher Nachmittag und Herr Hoffmann überlegt, ob er in seinem im Büdchen das Licht anmachen soll. „Am Nachmittag“, flüstert Herr Hoffmann ein wenig Niedergeschlagen. Man spürt den Herbst in jeder Ecke. Der Büdchen Betreiber spürt ihn, den Herbst, in jeder Ecke.

Das Türglöckchen läutet. Es ist ein Stammkunde. „Der Herr Ärmel“, sagt Herr Hoffmann freundlich. Herr Ärmel ist für Herrn Hoffmann immer ein Sonnenschein und vor allem an Regentagen, an ersten Herbsttagen „Guten Tag, Herr Hoffmann“, grüßt Herr Ärmel wie immer höflich, und tritt mit seinem liebevollen Herr-Ärmel-Lächeln an die Theke. „Herr Hoffmann, verkaufen Sie eigentlich immer noch Zigaretten? Ich meine einzelne Zigaretten?“ Herr Hoffmann wird leicht rot. „Also…, äh…, das habe ich mal gemacht, aber…“ Herr Ärmel lächelt. „Keine Angst, ich will Sie deswegen ganz sicher nicht verurteilen. Ich brauche nur eine Zigarette. Eine.“

Herr Hoffmann guckt immer noch ertappt. An die Schülerinnen der Schule gegenüber verkauft er in den Pausen einzelne Zigaretten und macht dadurch ein paar Euro extra. „Herr Hoffmann, ihr kleines Extra Geschäft ist mir wirklich ganz egal, ich brauche einfach eine Zigarette. Verkaufen Sie mir eine, oder nicht?“

Herr Hoffmann greift unter die Theke. „Welche Marke?“, fragt er immer noch etwas unsicher. „Eine Starke“, antwortet Herr Ärmel ernst. „Ist was passiert?“ Herr Hoffmann sucht eine Zigarette raus und reicht sie Herrn Ärmeln. „Hier. Geschenkt.“ „Danke, Herr Hoffmann.“

Herr Hoffmann wartet, ob Herr Ärmel von selber beginnt, zu erzählen, aber, der für viele im Viertel seltsame Kauz lächelt nur, geht raus und raucht in Ruhe seine „eine“ Zigarette.

Erst als er fertig ist, kommt er wieder in den Kiosk und beginnt, zu erzählen. „Entschuldigen Sie, das musste jetzt sein. Ich liebe diesen leichten Schwindel, den man hat, wenn man raucht. Wissen Sie, früher habe ich genauso viel geraucht wie Günter.“ „Der nette Nazi?“, Herr Hoffmann lächelt. „Na, ob der nett ist? Jedenfalls habe ich genauso viel geraucht. Der Job, wissen Sie? Als Architekt stand ich immer unter Strom. Hier ein neues Projekt, dort eine Ausschreibung. Dann die Existenzangst, wenn keine Aufträge da waren. Erst beim Bauordnungsamt habe ich die Kurve gekriegt. Wissen Sie, auf einmal fing die Angst an. Die Bildchen auf den Schachteln haben ihr übriges getan.“

Herr Hoffmann nickt. Er kennt das Gefühl. Auch Herr Hoffmann hat jahrelang geraucht und dann Panik bekommen. Er war ein richtiger Hypochonder. Nach jeder Zigarette glaubte er, die Metastasen in sich blühen zu spüren. Jeder Stich in seiner Seite war Lungenkrebs, jedes Kribbeln in den Beinen, der Anfang eines Raucherbeins.

„Und wie haben Sie es geschafft? Einfach aufgehört?“, fragt Herr Hoffmann. Herr Ärmel winkt ab. „Ne, nicht einfach aufgehört. Das ging bei mir über zwei, drei Jahre. An guten Tagen: Aufhören. An schlechten Tagen: Wieder anfangen. Dann Schuldgefühle, Furcht vor Krankheiten, wieder aufhören und ein paar Tage später die nächste erste Zigarette. Es war furchtbar. Kennen Sie das Buch Endlich Nichtraucher?“ Herr Hoffmann kennt es. Zweimal hat er es gelesen. „Und hat es bei Ihnen geklappt?“ Herr Hoffmann schüttelt den Kopf. „Bei mir auch nicht. Ich habe nachher mehr geraucht als zuvor. Also für mich war das nichts.“

„Und dann?“ Jetzt ist Herr Hoffmann doch neugierig. Wie so viele hatte er auch seine Rauchervergangenheit. „Die harte Tour. Ich wurde krank. Herz. Glücklicherweise war es nur ein Warnschuss. Aber nach ein paar Tagen Krankenhaus und der Ansage einer Ärztin, dass ich mir jetzt überlegen dürfte, ob ich noch ein paar Jahre weiterleben oder ob ich mir schon den Grabstein aussuchen möchte, habe ich es geschafft.“ Herr Ärmel lacht bitter auf. „Später hörte ich, dass sie mit meinem Herz ganz schön übertrieben hat, also die Ärztin, aber da war ich über den Berg. Ich habe ihr sogar einen Blumenstrauß als Danke schön geschickt. So ein Quatsch“

„Und heute fangen Sie wieder an?“, fragt Herr Hoffmann ironisch. „Nein“, Herr Ärmel lächelt. „Nur…es gibt so Tage, wissen Sie, da will man ausbrechen. Irgendwie raus aus seinem Körper. Kennen Sie das?“ Herr Hoffmann überlegt, aber Herr Ärmel wartet gar nicht auf seine Antwort. „Am Liebsten würde ich mir heute Opium in die Halsschlagader spritzen, aber ich habe Angst vor Spritzen und eigentlich auch vor Opium.“ „Das ist ja blöd“, sagt Herr Herr Hoffmann. „Ja, das ist ja blöd“, sagt Herr Ärmel nur. „Auf Wiedersehen, Herr Hoffmann.“ „Herr Ärmel.“ Herr Hoffmann bleibt ohne eine richtige Antwort zurück. Opium spritzen? Ein seltsamer Geselle, der Herr Ärmel. Oder hat Herr Hoffmann irgendwas im Viertel verpasst?