Wir werden uns viel zu verzeihen haben, sagte am Anfang der Pandemie Jens Spahn. Fast ein Jahr später höre ich in der WDR Mediathek einen Podcast zum Thema Verzeihen. Die Expertin, eine echte Philosophie Professorin, erklärt, dass wir immer ein Unrecht zu verzeihen haben, ein Unrecht, was uns persönlich zugefügt wurde. „Verzeihen heißt, ein erlebtes Unrecht vergeben“, sagt sie mit einem im Radio nicht zu sehenden erhobenen Zeigefinger. Das hat sie an kleinen Unrechtsverstößen im Alltag untersucht, ein Buch sogar darüber geschrieben.

Auch der Radiomoderator, MC Jürgen Wiebicke, will was sagen. Er weiß von Situationen, wo das Opfer dem Täter vergeben will, dieser aber sich gar keiner Schuld bewusst ist. Manchmal ist es nur die Hafermilch, die man vom Supermarkt mitbringen sollte und vergessen hat. Ein anderes Mal ist es vielleicht der geheimnisvolle, neue Nachbar, der wirklich jedwedes Geschlecht und auch Tier den Kopf verdreht. Sogar die räudigste Katze der Straße schnurrt sich den Bart zottelig, wenn des Nachbars Schatten über den Asphalt fällt.

Wir werden uns viel zu verzeihen haben, dachten damals alle. „Aber war es denn wirklich Unrecht?“, säuselte der Eine, mauzte eine Andere. Und sie dachten jeder kurz an den Keller des geheimnisvollen Gegenüber. Das hatten sie alle nicht unter dem Haus vermutet. Stundenlang quälte er hier, quiekten sie dort. Zuckerbrot und Peitsche. Wenn das der Partner, die Frau, die Kita Mütter oder die Nachbarn wüssten? Sie hätte sich alle viel zu verzeihen. Aber Unrecht?