Volle Stuhlwagen und ein leerer Tisch in einem traurigen Kulturtempel

Ach ja… gestern hat die USA gewählt. Einen Tag später sind immer noch nicht alle Zettel ausgezählt und der amtierende Präsident schimpft in einer seltsamen Pressekonferenz über vereinzelte Kräfte, welche den Amerikanern ihre Stimme nehmen wollen. Er sieht seine Felle wegschwimmen, ist aber nicht gewillt, das Steuerrad des Landes freiwillig aus den Händen zu geben.

Die Weltöffentlichkeit ist über sein Verhalten entsetzt. Dabei kennen sie doch sein Verhalten. Erstens Schreien, zweitens Anklagen, drittens einen Deal aushandeln. Momentan schreit er noch, die Tage folgen die Anklagen Richtung Demokraten und kommunistische Kräfte (das alte Gespenst) im Land, dann wird ein Deal ausgehandelt, der ihn am Ende sicherlich wieder gut aussehen lässt.

Parallel hat Deutschland die höchsten Corona Neuinfektionen seit Beginn der Pandemie. Wir sind, laut Politik und Medien, in einem Teil-Lockdown. Also Freizeit und Unterhaltung runterfahren, Arbeit und Bildung erhalten. Dummerweise verdiene ich mein Lebensunterhalt in der Kulturindustrie, die gegenwärtig noch dümmer aus der Wäsche schaut. Ärgerlich ist sie, weil sie in den letzten Monaten viele Maßnahmen getroffen hat, um ihre Besucher zu schützen. Es gibt kaum sicherere Orte als Kulturorte, versichern viele innerhalb des Betriebs.

Waren in der sogenannten Hochkultur Massenveranstaltungen mit schwitzenden, sich reibenden Menschen sowieso eher eine Seltenheit, haben die Hygiene Maßnahmen aus vielen Theater, Opernhäusern und Kulturzentren klinisch-sterile Pflegestationen gemacht. Manchmal schreit es aus dem ein oder anderen Proberaum. Aber es ist längst kein Personal oder Publikum mehr da, um auf diese letzten kulturellen Klagelieder aus den Katakomben der Kulturtempel zu hören.

Kultur-Pfleger bräuchten sie, also Pflegepersonal für den Patienten „Kultur“. Aber der Kultur-Pfleger ist nicht nur gegenwärtig schwer zu kriegen, er wurde noch gar nicht erfunden. Dabei bräuchte gerade der Patient „Kultur“ gegenwärtig viel Aufmerksamkeit. An vielen Orten können die Kulturschaffenden längst nicht mehr alleine aufstehen. Natürlich klagen sie auch über das liebe Geld und nehmen dankend jede Soforthilfe an, aber sie benötigen eben vor allem ihre Arbeit, das kreative Schaffen auf der Bühne und die urteilende Publikums-Instanz vor den Brettern, die für so manchen die Welt bedeuten.

Abgestellt und liegen gelassen bekommen sie schnell Druckstellen, die im schlimmsten Fall bleibende Schäden hinterlassen, von den seelischen Unwettern bei den Damen und Herren gar nicht zu sprechen. So mancher ist nur noch ein Häufchen Elend ohne die Bühne; die eben doch für die ein oder andere Rampensau Lebensmittel ist. Kultur ist eben vor allem Lebensmittel für den Künstler.

Und selber? Ich schaue auf die Uhr und ich denke, krass schon wieder eine Stunde vergangen. Wie der Tag doch immer rast. Gleich ist schon wieder Abend, das RKI wird neue Rekordstände an Neuinfektionen melden, Trump wird nicht einsehen, dass er verloren hat und in so manchem Wohnzimmer wird vielleicht gerade eine Partie „Mensch ärger dich nicht“ gespielt. Ein Klassiker.