Dienstleistung macht nackig. Ob Supermarkt-Fachverkäufer, Künstler oder Gastronom überall muss man sich privat machen, um Vertrauen zu schaffen.

Damit dich der Kunde kennenlernt“, erklärte mir damals die ältere Dame bei der Berufsberatung. Ich war dreizehn, sie war mehr im Alter meiner Oma. Sie erzählte, ich nickte brav und machte das Pflicht- Praktikum bei einer Rentenversicherungsanstalt.

Alles hängt zusammen“, sagte Oma immer und Oma war eine sehr weise Frau. Opa sagte immer, im Mittelalter hätten sie die Oma sofort verbrannt, so weise war die („Und heiß“, Opa grinste. „Opa, Igitt“).

Jedenfalls wusste ich nach dem Praktikum in der Rentenversicherungsanstalt, dass ich nicht in einer Rentenversicherungsanstalt mein Glück finden würde. Immerhin etwas im Heuhaufen gefunden.

Ansonsten hatte ich sogar Glück. Bei mein Schulkumpel Michael sah das Praktikum schon ganz anders aus. Er hatte kein Glück. Mit Michael teilte ich nicht nur die Schulklasse sondern auch die Leidenschaft der Fantasy Rollenspielwelt. Kurz bevor in unsere Köpfe das Hormon- Karussell los-ratterte und ich bald nur noch an „Mädchen, Mädchen, Mädchen“ denken konnte, gingen wir alle noch mal richtig auf Elfen, Zwerge und Goldene Drachen ab. Die letzten Tage der Unschuld sozusagen.

Jedenfalls hatte Michael nicht so Schwein mit seinem Praktikum. Er landete bei Karstadt. Socken Abteilung. Die ältere Dame in der Berufsberatung hatte mit Martin das Thema Einzelhandel erarbeitet, Unterthema Socken. Nach drei Wochen Socken hatte Martin seine Erfahrung gemacht. Auch er wusste danach, dass er nicht in der Socken-Abteilung bei Karstadt sein Glück finden würde. Bis er sein Abitur in der Tasche hatte, sollte Martin auch keine Socken mehr tragen. Danach haben wir uns nicht mehr gesehen und Karstadt machte pleite.

Aber weiter: Dienstleistung macht nackig. In meinem bevorzugten Supermarkt kenne ich nach vier Jahren Einkauf jedes Gesicht. Die Rothaarige an der Kasse, die den Mund nicht aufkriegt. Die kleine Pummelige an der Käsetheke, bei der das Kind immer noch ein Scheibchen Kinderwurst bekommt, die Transsexuelle an Kasse Drei und natürlich der Auszubildende an der Fleischtheke. Seine Ausbildung verfolgen wir Kunden seit Jahren. Und es sieht nicht immer gut für den Jungen aus. Glücklicherweise arbeitet auch seine Mutter im Fleischgewerbe und sogar an der gleichen Theke. Eine robuste Dame mittleren Alters, die sich noch traut eine echte Dauerwelle zu tragen, scheint verantwortlich für den Jüngling hinter dem Fleisch. Sie versorgt uns durch ihre kleinen Ausraster mit Informationen. Öfters in den letzten Jahren hat sie sich ihr Bürschchen vorgenommen. So erfuhr ich zum Beispiel, während sie mir einmal 250 Gramm Mett über die Theke reichte, dass ihr Schützling seine schulische Ausbildung nicht besonders Ernst zu nehmen schien. Sie maulte ihn an, dass er seine letzte Chance mit ihr zusammen am Fleisch zu arbeiten, nicht einfach wegwerfen sollte. Oder willst du so enden wie dein Vater, drohte sie. Sowieso schien der Junge nicht nur schulisch sondern auch in der Liebe ein Tunichtgut zu sein. Die Frau weiß – nach einem ihrem letzten Supermarktbesuche – über einen Monolog der Mutter zu berichten, wo es um dieses sensible Thema ging. So war seine letzte Errungenschaft wohl ein ganz heißes Mädchen, die sich nicht schämte, zur Sonntagsbraten-Einladung der Eltern kein Unterhöschen, alias Schlüpfer unter dem Rock zu tragen und diese heiße, aber wirklich heiße News auch noch dem verwirrten Jungen zwischen zwei Scheibchen Schweinebraten mitzuteilen. Nicht nur der Junge auch sein Vater (wir wissen: auch ein Tunichtgut) konnten gar nicht schnell genug unter den Tisch gucken. „Junge, was haben wir bloß falsch gemacht“, sagte damals die Dienstherrin und Mutter des Auszubildenden. „wenn du so weiter machst landest du nach bei dem Tönnies, drohte sie ihm.

Ja, Dienstleistung macht nackig“, schwärme ich, während ich in meinem Online Tagebuch minutiös meine und andere Taten niederschreibe. Und er arbeitete glücklich bis an sein Lebensende am Fleisch, schreibe ich, glücklich, nackig und lege den Stift zur Seite.