Donnerstag, 9. November. 15:40 Uhr. Ich sitze in der Stadtbücherei Münster und schreibe. Ja, hier sitze ich gerne zum Schreiben. All diese Bücher, die Stille und die lesenden Menschen, all diese Inspiration, diese bibliophilen Geister. Ich stelle mir immer vor, sie leihen sich eines meiner Bücher aus (vielleicht „Herr Weber auf Safari“?), sitzen zu Hause auf ihrem Sofa, liegen in ihrer Badewanne oder in ihrem Bett und schmökern in meinem Werk.
Allerdings steht in der Stadtbücherei gar kein Buch von mir, weswegen es sehr unwahrscheinlich ist, dass sich jemand ein Buch von mir ausleiht, um später darin zu schmökern. Einmal war ich bei einem Bekannten zu Besuch und er hatte eines meiner Bücher bei sich liegen. Allerdings nicht neben dem Bett, der Badewanne oder dem Sofa, sondern neben dem Klo lag mein Buch, der große Insider Tipp „Herr Weber auf Safari“. Ich habe ihn darauf angesprochen, was mein Buch denn auf seinem Klo macht. „Was macht denn mein Werk „Herr Weber auf Safari“ neben deinem Klo?“, habe ich gefragt. „Deine Geschichten haben genau die richtige Länge“, erklärte mir der Bekannte. Ich nickte. „Ach so. Genau die richtige Länge für deinen Klogang. Aha. Ja…, klasse“, sagte ich und überlegte, ob sie genau die richtige Länge für ein großes oder für ein kleines Geschäft haben. Sind es also Scheiß-Geschichten oder reichen sie meinem Bekannten noch nicht einmal dafür? Jedenfalls beschloss ich, diesen Bekannten von meiner Bekannten-Liste zu streichen. So nicht Freundchen, dachte ich, verabschiedete mich, ging noch mal auf sein Klo und klaute ihm das Buch, sein Besitz, mein geistig Eigentum „Herr Weber auf Safari“. Ich wollte und ich will kein Scheiß-Geschichten Autor sein.

Nein, ich bin kein Autor für das Große Geschäft. Nein, ich bin ein Lesebühnenautor. Ein Lesebühnenautor ist laut der Wikipedia ein Autor, der gewollt lustige, oft biografische Kurzgeschichten vor Publikum liest. Ein meist kleines Publikum, was sich oft aus dem näheren Bekanntenkreis des Autors zusammensetzt, sitzt vor den Lesebühnenautoren, trinkt Bier, viel Bier und grölt, wenn es was zu grölen gibt oder sie das Gefühl haben, dass man mal grölen sollte. Unsere Lesebühne hat nur sehr wenige Gröler, da meine Bekannten-Liste in den letzten Jahren sehr zusammengeschmolzen ist. Es besteht meistens nur aus der Bekannten-Liste meines Lesebühnenkollegen Micha El Goehre, die aber auch nur ein Listchen ist und vielleicht noch aus dem familiären Anhang unserer Gastleser. Wir sind also meistens unter uns, wenn man vom Techniker und der Kassenkraft absieht. Das ist aber nicht traurig, weil wir einfach die Bühnenscheinwerfer so grell stellen, dass wir gar nicht mitbekommen, ob jemand vor uns sitzt. Der Techniker spielt am Anfang der Lesebühne immer einen Applaus ein und nach jeder gelesenen Geschichte kriegen wir Zugabe-Rufe per Audio Datei. Technisch ist da mittlerweile soviel möglich, da merkt man gar nicht, dass man eigentlich alleine im Raum sitzt.
Nein, alles gut. Wer ich bin? Ich habe eine Antwort auf diese Frage: Ich bin Lesebühnenautor. Ein Lesebühnenautor unterscheidet sich von einem normalen Autor durch seine ausgetüftelte Performance, Geschichten vorzulesen. Das können wir: Geschichten vorlesen. Da können wir noch so einem im Kahn haben, lesen geht immer. Da werden Satzzeichen mit Mimik und Gestik auf den Punkt gebracht, Rhythmen eingebaut, Betonungen betont, Satzmelodien gesungen. Da macht die Zunge einen doppelten Flick Flack im Mund, um dann mit Wörter wie Authentizität oder Bahndammbrandmann vor dem Zuhörer zu jonglieren, dass ihnen ganz schwindlig wird.
Und jetzt? Jetzt sitze ich in der Stadtbücherei und schreibe. Vor mir steht ein Mädchen. Sie ist vielleicht Ende Zwanzig, trägt langes blondes Haar, Turnschuhe, Blue Jeans und Kapuzenpulli. Sie steht zwischen Kunst der Antike, Schwerpunkt Griechenland und frühchristliche Kunst/ germanische Kunst/ Ikonografie. Eine Kunsthistorikerin also. Ich stelle mir vor, dass sie sich mein Buch ausleiht und zu Hause auf dem Sofa, dem Bett oder in der Badewanne durch meine Seiten schmökert. Ich stelle mir vor, dass sie dabei nur ein dünnes Hemdchen trägt, weil meine Geschichten ihr richtig einheizen. In der Badewanne trägt sie sogar gar nichts. Ich stelle mir ganz viel immer vor. Ich habe Phantasie. Muss ich auch haben. Da braucht es viel Phantasie, um sich das schön zu reden oder schreiben. Ich bin Autor, Lesebühnenautor. Ich bin nichts fürs große Geschäft und auch nichts für Kunsthistorikerinnen in Büchereien. Ne, ne, mein Werk steht hier nämlich nicht. Noch nicht. Irgendwann. Ich habe viel Phantasie.