Dienstag, 11 Uhr. Münster. Im Radio sagen sie, dass Philipp Lahm jetzt in Rente geht. Ende der Saison ist Schluß. Lahm steht auch nicht für andere Aufgaben zur Verfügung.

Ich sitze im Café „Sonnenschein“, trinke Kaffee, später Bier und freue mich, noch nicht in Rente gehen zu müssen.

Philipp Lahm wurde 1983 von seiner Mutter geboren, er ist Fußballspieler und Kapitän des FC Bayern München. Mehrmals wurde er mit seinem Verein Deutscher Meister und 2014 mit der Nationalmannschaft sogar Weltmeister. Er ist also ein sehr guter Fußballspieler.

Ich bin kein guter Fußballspieler, sondern Slam Poet, Lesebühnenautor, deswegen muss ich auch nicht mit dreiunddreißig Jahren in den Ruhestand gehen. Als Slam Poet und Lesebühnenautor kann man, auch wenn man sehr erfolgreich ist, Rente sowieso vergessen. Mit Dreiunddreißig habe ich noch nicht mal gewusst, dass ich irgendwann Lesebühnenautor werde. Mit Dreiunddreißig war ich gerade mal mit meinem Studium fertig und habe gedacht, dass das Leben jetzt erst richtig losgeht.

Ich habe Neuere Geschichte auf Magister studiert und gleichzeitig einen Taxischein gemacht, um mir beruflich alle Möglichkeiten offen zu lassen. Nach dem Studium habe ich mich sogleich mit der Personenbeförderung professionell beschäftigt. Sechs Tage die Woche saß ich nachts im Taxi und habe junge, motivierte Studenten zu Studentenparties gefahren, die Namen trugen wie „Ersties knallen“, „Zappelexamen” oder die “Die fetzige Knackwurstfete“. Das war sehr schön, da ich sehr viel über das Leben gelernt habe. Über diese ganzen Erfahrungen habe ich dann Geschichten geschrieben und sie auf Offenen Bühnen und Poetry Slams vorgetragen.

Eine offene Bühne ist eine Show, in der mehrere Künstler oder Gäste spontan auftreten können. Je nach Veranstalter sind verschiedene Darbietungsformen zugelassen, z.B.: Musik, Comedy, Stand-Up, Lesung, Prosa, Lyrik, Tanz, Zauberei, Jonglage und Artistik sowie an bestimmten Orten auch Kurzfilme. Da ich Kurzgeschichten schrieb, habe ich mich für die Darstellungsform „Lesung“ entschieden.

Jedenfalls hat das alles erst mit dreiunddreißig Jahren begonnen, einem Alter, wo die feinen Herren Sportler schon in den Ruhestand gehen, weil sie körperlich nicht mehr so können. Ich bin jetzt fünfundvierzig Jahre alt und kann immer noch. Natürlich ist “Die fetzige Knackwurstfete” auch nicht mehr so mein Ding, auch die Personenbeförderung musste ich dran geben. Aber ich kann noch Geschichtchen schreiben, sinniere ich, sitze im Café „Sonnenschein“, schlürfe Kaffee, später Bier und schieb den Ruhestand noch ein paar Jahre vor mir her.