Herr Hoffmann steht hinter seiner Theke. Vor ein paar Minuten hat er seinen Kiosk aufgeschlossen, den BILD Aufsteller rausgestellt und die Tageszeitungen in den Zeitschriftenständer neben der Ladentür sortiert. Gestern war Bundestagswahl und die Zeitungen sind voll mit Hochrechnungen, Analysen und Meinungen. Herr Hoffmann geht, wie so oft nach einer Wahl, die einzelnen Zeitungen durch, guckt, liest, wie die Stimmung im Land sich aufdröselt und welche Möglichkeiten sich für eine Regierung ergeben. „Ahh… wird schwer“, flüstert er. „Aber eine große Koalition? Nein. Jamaika oder eine Ampel vielleicht“, sagt er zu sich selber. „Ohne Kompromisse wird das alles nicht gehen“, grübelt Herr Hoffmann zwischen den Schlagzeilen, da geht sein Türglöckchen und ein Kunde betritt das Büdchen.

Na ja, ein Kunde? Es ist einer seiner Stammkunden. Der rechte Günter. Laut keuchend betritt er den Kiosk. „Immer langsam“, lächelt Herr Hoffmann und begrüßt den Stammkunden freundlich mit einem Kopfnicken. Günter grummelt. „Immer langsam? Nichts da immer langsam. Das ist dieses Raucherei. Schlimm. Aber soll ich mit Mitte Siebzig aufhören, zu qualmen? Das ist doch auch Quatsch. Aber bald werden uns die Grünen, sowieso alles was Spaß macht, verbieten. Wirst schon sehen, Herr Hoffmann.“ Günter zeigt einmal um sich herum. „Den Kiosk kannst du dann auch dicht machen, wenn die erst mal die Zügel in der Hand halten, lieber Herr Hoffmann. Aber ich sage besser mal nichts zu dieser großen Zügelei , die da abläuft.“

Niemals ist der erst Mitte Siebzig, denkt Herr Hoffmann und lächelt immer noch. Was soll er machen, außer lächeln. Günter ist stockkonservativ und Herr Hoffmann ahnt, dass Günter zu den paar Gestalten gehört, die in Münster ganz Rechts gewählt haben, was der Starkraucher auch schon im nächsten Satz bestätigt.

„Mein lieber Herr Hoffmann, ich habe die AFD gewählt. Nicht das ich diese Lesbe an der Spitze gut finde, hier, diese Alice Weidel, aber man muss denen da oben mit ihren Spinnereien mal einen auf den Deckel geben. Und das ist untertrieben. Eigentlich musst du die gleich an die nächste Laterne hängen. Klimawandel, wenn ich das schon höre. Warte mal ab, Herr Hoffmann, bald kannst du deinen alten Benziner verschrotten. Dann dürfen wir nur noch mit dem Lastenrad in die Stadt zum Einkaufen. Das keiner mehr in der Innenstadt einkaufen will, wundert mich nicht. Sollen die älteren Herrschaften mit dem Skateboard in die Stadt rollen, oder was? Mit dieser Baerbock oder … hier dieser linke Juso Socke, Kühnert, spielen wir bald wieder Planwirtschaft. So sieht das doch aus“, schimpft Günter, während er den, von Herr Hoffmann gerade sortierten Zeitschriftenständer auseinander pflückt und nach seinem Schachmagazin sucht.

„Ich habe kein Auto“, erwidert Herr Hoffmann. „Ich brauche auch keins“, fügt er noch hinzu.

Günter schaut kurz vom Zeitschriftenständer hoch, verzieht das Gesicht. „Heißt? Unterstützt du den Mist auch noch?“, fragt er und Herr Hoffmann merkt, dass er eine Diskussion mit Günter heute wohl nicht vermeiden kann. Schon öfters war er kurz davor, Günter mal seine Meinung zu sagen. Einmal, als Günter wieder gegen die Identitätspolitik der Grünen – dem Gender-Wahnsinn, wie er sagte – wetterte, wollte Herr Hoffmann endlich einmal auf den Tisch hauen, sogar über ein Hausverbot dachte er kurz nach. Im letzten Moment kam ein anderer Kunde ins Büdchen, und Herr Hoffmann hielt sich zurück. Und auch heute kommt Herr Hoffmann nicht dazu, mit Günter zu diskutieren, denn gerade als er antworten will, geht wieder das Türglöckchen und ein weiterer Stammkunde, Lukas, betritt den Laden.

„Mooooiiinnn“, schreit der Student, noch in der Tür stehend, gut gelaunt. Herr Hoffmann grüßt seinen besten Kunden kurz, aber trotzdem freundlich, zurück. Auch Günter nickt dem Studenten zu -auch wenn weniger begeistert. Man kennt sich aus dem Büdchen. „Ach, dein Nazi ist auch hier“, sagt Lukas, verächtlich schaut er auf Günter. Günter nimmt sich ein Schachmagazin aus dem Zeitungsständer und geht die zwei Schritte zur Theke, ohne was zu erwidern.

„In Münster haben diese Drecksfaschos wenigstens richtig eins aufs Maul bekommen“, versucht Lukas den alten Herren, also Günter, weiter zu provozieren.

Herr Hoffmann überlegt, ob er was sagen soll. Auch wenn Lukas irgendwie Recht hat, mag Herr Hoffmann es gar nicht, wenn der Student seine Kunden beleidigt.

Doch Günter braucht keine Unterstützung. Auch wenn der alte Mann seine besten Jahre schon hinter sich hat, muss er sich nicht verstecken. Günter ist auch im hohen Alter noch ein ziemlicher Schrank von Mann. Aber Günter ist nicht nur eine ziemliche Kante, er ist leider auch bei weitem Klüger und Schlagfertiger als so mancher linksalternative Student und als die meisten rechten Gesinnungskameraden sowieso.

„So, junger Mann…“, will der „nette“ Nazi, wie in Herr Hoffmann in seiner Abwesenheit manchmal nennt, gerade ansetzen, da geht aber glücklicherweise das Türglöckchen und eine Horde Schülerinnen stürmt den Kiosk und erstickt mit ihrem Lärm jedes Gespräch „Da hast du aber Glück gehabt“, sagt Günter noch zu Lukas und verabschiedet sich. Lukas grinst. Herr Hoffmann seufzt. Er weiß, dass das noch nicht ausgestanden ist. „Und das ist auch gut so“, sagt er zu sich. Anders als Lukas glaubt Herr Hoffmann, dass man miteinander reden muss. Das einfach nur hassen, schneiden, schreien, zu wenig ist.

Herr Hoffmann hat durch die Schülerinnen ein bisschen Zeit gewonnen. Vorbereitungszeit. Beim nächsten Besuch des netten Nazis muss Herr Hoffmann das Gespräch, den Streit suchen. Ansonsten kann er sich selber nicht mehr im Spiegel ansehen, denkt er und seufzt wieder.

Wie so oft heute. Ein Seufzer-Tag. Ein Tag nach der Wahl.